E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Obergericht (SH)

Zusammenfassung des Urteils Nr. 66/2000/11: Obergericht

Der Text behandelt die Anfechtbarkeit einer Ermessenseinschätzung im Steuerrecht, speziell in Bezug auf die Steuergesetze in der Schweiz. Es wird diskutiert, ob die Regelung, die besagt, dass kein Einspracherecht besteht, wenn die Steuerfaktoren nicht um mehr als 20 % erhöht werden, gegen das Rechtsgleichheitsgebot verstösst. Es wird argumentiert, dass diese Regelung nicht angewendet werden kann, da sie nicht mit übergeordnetem Recht vereinbar ist. Das Obergericht hat entschieden, dass die Regelung gegen das Rechtsgleichheitsgebot verstösst und daher nicht anwendbar ist. Der Rekurrent hat erfolgreich gegen die Entscheidung der Steuerkommission geklagt, die aufgrund dieser Regelung nicht auf seine Einsprache eingetreten war.

Urteilsdetails des Kantongerichts Nr. 66/2000/11

Kanton:SH
Fallnummer:Nr. 66/2000/11
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid Nr. 66/2000/11 vom 16.11.2001 (SH)
Datum:16.11.2001
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort: Art. 8 Abs. 1 und Art. 29 Abs. 1 BV; Art. 87, Art. 90 Abs. 4 und Art. 91 aStG. Anfechtbarkeit einer Ermessenseinschätzung
Schlagwörter : Einsprache; Ermessen; Veranlagung; Recht; Bundes; Steuererklärung; Steuerpflichtigen; Steuern; Rekurrent; Rekurs; Steuerfaktoren; Selbsteinschätzung; Frist; Mahnung; Steuerkommission; Ermessenstaxation; Anfechtung; Ermessensveranlagung; Sachverhalt; Entscheid; Einspracherecht; Steuerbehörde; Unrichtigkeit; Rekurrenten; Obergericht; Rechtsgleichheitsgebot
Rechtsnorm:Art. 29 BV ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts Nr. 66/2000/11

Art. 8 Abs. 1 und Art. 29 Abs. 1 BV; Art. 87, Art. 90 Abs. 4 und Art. 91 aStG. Anfechtbarkeit einer Ermessenseinschätzung (Entscheid des Obergerichts Nr. 66/2000/11 vom 16. November 2001 i.S. R.).

Die Bestimmung von Art. 90 Abs. 4 aStG, wonach kein Einspracherecht besteht, wenn bei einer Ermessenseinschätzung die Steuerfaktoren nicht um mehr als 20 % gegenüber der letzten rechtskräftigen Veranlagung erhöht werden, verstösst gegen das Rechtsgleichheitsgebot; sie kann daher nicht angewandt werden.

Aus den Erwägungen:

  1. .a) ...

    b) Der Fall beurteilt sich sowohl in materieller als auch in verfahrensmässiger Hinsicht nach altem Recht (Art. 220 und Art. 229 Abs. 2 des Gesetzes über die direkten Steuern vom 20. März 2000 [StG, SHR 641.100]).

  2. .a) Die Ermittlung der Steuern beruht auf der Selbsteinschätzung der Pflichtigen und auf der Veranlagung durch die Steuerbehörden (Art. 74 des Gesetzes über die direkten Steuern vom 17. Dezember 1956 [aStG; OS 19,

S. 212 ff.]). Die Steuererklärung ist innert der in der öffentlichen Anzeige im Steuererklärungsformular festgesetzten Frist wahrheitsgetreu ausgefüllt und unterzeichnet einzureichen (Art. 76 Abs. 1 aStG).

Versäumt der Steuerpflichtige die ihm zur Selbsteinschätzung gesetzte Frist weigert er sich, den ihm von den Steuerbehörden gemachten Auflagen nachzukommen, so tritt gemäss Art. 87 aStG an Stelle der Selbsteinschätzung die Veranlagung durch die Steuerbehörde (Abs. 1). Bei der Veranlagung von Amtes wegen bei offensichtlich ungenügender Selbsttaxation können die Steuerfaktoren nach Erfahrungszahlen, Vermögensentwicklung Lebensaufwand des Pflichtigen bestimmt werden (Abs. 2).

Benützt der Steuerpflichtige trotz Mahnung die für die Selbsteinschätzung angesetzte Frist nicht und werden seine Steuerfaktoren nicht um mehr als 20 % gegenüber der letzten rechtskräftigen Veranlagung erhöht, so steht ihm das Einspracherecht nicht zu (Art. 90 Abs. 4 aStG). Wird im übrigen die Einsprache von einem nach Ermessen veranlagten Steuerpflichtigen erhoben, so hat dieser im Einspracheverfahren die Unrichtigkeit der Veranlagung nachzuweisen (Art. 91 aStG).

  1. Der Rekurrent hat innert der im Steuererklärungsformular festgesetzten Frist keine Steuererklärung 1999-2000 eingereicht. Er hat in der Folge auch auf Mahnungen und eine ausgefällte Ordnungsbusse nicht reagiert. Die Steuerverwaltung hat ihn daher grundsätzlich zu Recht für die Steuerjahre 1999 und 2000 nach Ermessen veranlagt.

  2. Der Rekurrent hat die Steuererklärung innert der Einsprachefrist nachgereicht. Die Steuerkommission ist jedoch auf die damit verbundene Einsprache nicht eingetreten, weil die Steuerfaktoren des Rekurrenten in der angefochtenen Veranlagung nicht um mehr als 20 % gegenüber der letzten rechtskräftigen Veranlagung erhöht worden waren. Dies war denn auch dem Rekurrenten in den vorangegangenen Mahnungen und in der Ordnungsbussenverfügung ausdrücklich angedroht worden.

    Das Obergericht hat bereits einmal erklärt, die gesetzlich vorgesehene Verwirkung des Einspracherechts sei aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch. Es konnte jedoch die Frage offenlassen, ob Art. 90 Abs. 4 aStG verfassungswidrig sei, weil das Erfordernis der erfolglosen Mahnung damals nicht gegeben war (OGE Nr. 66/1998/44 vom 7. Mai 1999 i.S. M., E. 2b und c). Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen zur Anwendung der genannten Bestimmung grundsätzlich erfüllt. Die Frage von deren Vereinbarkeit mit übergeordnetem Recht ist daher nunmehr zu beurteilen.

    Das Obergericht hat seinerzeit auf einen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern hingewiesen, worin dieses festgestellt hatte, eine solche Verwirkungsbestimmung verstosse gegen das verfassungsmässige Rechtsgleichheitsgebot. Das Verwaltungsgericht ist in seiner Begründung vom Grundsatz ausgegangen, dass das Einsprachebzw. Rekursrecht des Steuerpflichtigen eine der wichtigsten Rechtsschutzeinrichtungen des modernen Staates sei. Daher lasse sich sachlich nicht begründen, den zufolge Nichterfüllung seiner Mitwirkungspflichten nach Ermessen veranlagten Steuerpflichtigen vom Einspracheund Rekursverfahren auszuschliessen. Immerhin sei anerkannt, dass Ermessenstaxationen willkürfrei erfolgen müssten und dass der Steuerpflichtige grundsätzlich zum Nachweis zuzulassen sei, dass die Veranlagung den Rahmen des nach den Umständen Möglichen sprenge. Solle an diesem Grundsatz festgehalten werden was aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit als unabdingbar erscheine -, so sei schlechterdings nicht einzusehen, weshalb trotz Nichteinreichens der Steuererklärung das Einspracheund Rekursrecht bestehen bleiben solle, sofern die Ermessenstaxation im Vergleich mit der Veranlagung in der Vorperiode um mehr als 20 % erhöht werde, während bei einer weniger weitreichenden Erhöhung ein Ausschluss von der Anfechtungsmöglichkeit rechtens sein solle. Auch wenn pflichtwidrig keine

    Steuererklärung eingereicht werde, sei die Veranlagung in jedem Fall nach pflichtgemässem Ermessen zu treffen. Von daher gesehen bestehe kein sachlicher Grund, den Steuerpflichtigen nur dann zur Anfechtung zuzulassen, wenn die Erhöhung der Ermessenstaxation im Vergleich mit der Vorperiode ein bestimmtes Mindestmass überschreite. Anders entscheiden hiesse, entweder im Rahmen einer justizmässig nicht überprüfbaren Quote Erhöhungen ohne nähere Untersuchung der tatsächlichen Verhältnisse zuzulassen, was nach dem Gesagten gegen anerkannte Prinzipien der Steuerveranlagung verstiesse, dem Ausschluss des Einspracheoder Rekursrechts im Ergebnis Strafcharakter beizumessen, was aber gerade nicht der Sinn der Bestimmung sein solle. Endlich sei unerfindlich, weshalb der pflichtvergessene Steuerpflichtige, dessen Ermessenstaxation gegenüber der Vorperiode massiv erhöht werden müsse, verfahrensmässig besser gestellt sein solle als ein anderer Steuerpflichtiger, der ebenfalls keine Steuererklärung eingereicht habe und dessen Veranlagung nach dem Ergebnis der von Amtes wegen durchzuführenden Untersuchungen nur geringfügig überhaupt nicht erhöht werden müsse. Daraus erhelle, dass der Gesetzgeber mit dem Erlass der fraglichen Bestimmung rechtliche Unterscheidungen getroffen habe, für die ein vernünftiger, sachlicher Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich sei. Die Vorschrift verstosse deshalb gegen Art. 4 der (damals geltenden) Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (aBV) und sei daher im Einzelfall nicht anwendbar. Daran ändere nichts, dass das (damalige) Steuerrecht des Bundes (Art. 92 Abs. 1 des Bundesratsbeschlusses über die Erhebung einer direkten Bundessteuer vom 9. Dezember 1940 [BdBSt]) eine der beanstandeten Bestimmung entsprechende Ordnung enthalte. Diese sei, wiewohl von der Rechtslehre begründetermassen kritisiert, nach Massgabe von Art. 113 Abs. 3 bzw. Art. 114bis Abs. 3 aBV für die Gerichte verbindlich und könne daher nicht auf ihre Verfassungsmässigkeit hin überprüft werden (Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom

    2. Juni 1980, E. 4, BVR 1980, S. 382 ff.; vgl. auch Känzig/Behnisch, Die di-

    rekte Bundessteuer, III. Teil, 2. A., Basel 1992, Art. 92 N. 51, S. 188 [wonach die Regelung von Art. 92 Abs. 1 BdBSt verfassungswidrig sein dürfte]).

    Diese überzeugende Argumentation lässt sich ohne weiteres auf die Bestimmung von Art. 90 Abs. 4 aStG übertragen. Diese verstösst demnach gegen das Rechtsgleichheitsgebot von Art. 8 Abs. 1 und Art. 29 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101). Ein Rechtsmittelausschluss wird auch dem Wesen des Instituts der Ermessensveranlagung nicht gerecht. Diese soll nicht eine Strafsanktion für den säumigen Steuerpflichtigen, sondern ein blosses Hilfsmittel zur Überbrückung der Ungewissheit im Sachverhalt bilden. Sie dient durch

    Feststellung des wahrscheinlich wahren Sachverhalts dem Ziel, eine dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit genügende Veranlagung des Steuerpflichtigen zu ermöglichen. Deshalb darf diesem nicht verwehrt werden, durch Anfechtung der Ermessensveranlagung im Rechtsmittelverfahren den wahren Sachverhalt darzulegen die Grundlage für eine der Wirklichkeit gerechtere Schätzung beizubringen (Martin Zweifel, Die Sachverhaltsermittlung im Steuerveranlagungsverfahren, Zürich 1989, S. 134 f.). Das Bundesrecht sieht denn auch heute für die kantonalen und kommunalen Steuern generell die Möglichkeit der Anfechtung von Ermessensveranlagungen wegen offensichtlicher Unrichtigkeit vor (Art. 48 Abs. 2 Satz 1 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden vom 14. Dezember 1990 [StHG, SR 642.14]).

    Ist somit die Bestimmung von Art. 90 Abs. 4 aStG mit dem übergeordneten Bundesrecht nicht vereinbar, so kann sie im vorliegenden Fall nicht angewandt werden. Die Steuerkommission ist daher zu Unrecht gestützt darauf auf die Einsprache des Rekurrenten nicht eingetreten.

  3. Die Steuerkommission hätte aufgrund der vorstehenden Erwägungen die Einsprache ... entgegennehmen und darauf überprüfen müssen, ob sie den formellen gesetzlichen Anforderungen genüge. Gegebenenfalls hätte sie darauf eintreten und materiell beurteilen müssen, ob und inwieweit damit die Unrichtigkeit der angefochtenen Ermessensveranlagung dargetan sei.

Der Rekurs ist daher gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, der Einspracheentscheid ... ist aufzuheben, und die Sache ist an die Steuerkommission zurückzuweisen, damit sie im genannten Sinn vorgehe.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.